Vor 25 Jahren wurden Reparaturarbeiten am Südturm der katholischen Kirche St. Martin in Oberlahnstein ausgeführt. Dabei wurden neben Innenarbeiten, wie Balken ersetzen und Stromleitungen austauschen, auch der Blitzschutz auf den neuesten Stand gebracht. Während die Turmuhr ausgebaut und generalüberholt wurde, war das Turmkreuz nicht mehr zu retten. Mitsamt Hahn wurde daher ein neues angefertigt, ausgeführt durch Schlosser- und Kunstschmiedemeister Dieter Christ aus Ebschied im Hunsrück. Die Finanzierung des neuen Kreuzes hatte der Förderverein zur Erhaltung und Renovierung der katholischen Kirchen und Kapellen der Pfarrei St. Martin dank zahlreicher Mitglieder und Spender übernommen.

Im Kupferball unter dem alten Turmkreuz wurden Dokumente entdeckt, die in lateinischer Sprache über die Kirchturmrenovierung von 1899 Aufschluss gaben. In der Turmuhr befanden sich gleich zwei Briefe von Schlosser Peter Schröder, der 1824 die Uhr mit Blech beschlagen hatte, und von Installateur Hans Jäger aus dem Jahr 1947. Fördervereinsvorsitzender Henk van Hoorn ließ die Dokumente aus der Turmspitze restaurieren und übersetzen oder transkribieren. Aus dem Schreiben von Schlossermeister Schröder traten interessante Details aus dem Alltag von 1824 zutage – so erfuhr man hier, dass damals ein Maß Wein in Oberlahnstein 12 Kreuzer kostete. Der Brief von Hans Jäger gibt ein ergreifendes Zeugnis aus den schwierigen Zeiten unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. So schreibt er über die Grausamkeit der Nationalsozialisten, den furchtbaren Krieg, die Luftangriffe – besonders vom 11. November 1944 – den Raub der fünf „herrlichen Bronzeglocken“ als Metallspende im Jahr 1942 und die Zerstörung der Turmuhr durch einen „frivolen Nazi“. Auch die Zukunft schien ihm noch 1947 in düstererem Licht: „Nachdem mehrere Jahre die Uhr stillstand und […] wir anscheinend einer schrecklichen und armen Zeit entgegensehen, da wollen wir dieselbe wieder in Gang bringen, ehe wir es vielleicht aus Armut nicht mehr können.“ 1.900 Quadratmeter Dachfläche mussten mit Dachpappe belegt werden, weil im Luftkrieg die Schiefersteine hinweggefegt wurden und nun keine Ziegelsteine zu bekommen seien – nicht mal einen Pinsel zum Bestreichen der Dachfläche mit Teer.

Das dritte gefundene Dokument wurde am 1. Dezember 1899 vom damaligen Pfarrer Joseph Michels unterzeichnet, als die Kirche um ihre Seitenschiffe erweitert worden war. Michels benennt zunächst die Regierenden in Politik und Kirche, bevor er auf die Neugestaltung der Oberlahnsteiner Pfarrkirche mit ihren Türmen eingeht, als „beständiges Wahrzeichen der tiefsten und friedvollen Verbindung der kirchlichen und bürgerlichen Träger und zur Zierde der Stadt Oberlahnstein sowie zur Erbauung und zum ewigen Heil der Gläubigen.“ Dementsprechend wurde im Jahr 2000 von Vereinsvorstand und Pfarrer ein neues Dokument angefertigt und in den Ballon der Turmspitze den älteren Dokumenten beigefügt. Dieses beginnt mit der Beschreibung der allgemeinen Situation in Deutschland im Herbst des Jahres 2000: „Bundespräsident ist Johannes Rau. Die Bundesregierung, gebildet aus einer Koalition aus SPD und Grünen wird angeführt von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Im Rahmen der Europäischen Union ist der Euro als offizielles Zahlungsmittel eingeführt. Die neuen Banknoten und Münzen als Bargeld gelangen erst zum 1.1.2002 in Umlauf – noch zahlt man mit Deutscher Mark (DM). Oberbürgermeister ist Peter Labonte. Die Pfarrei wird geleitet durch Pfarrer Winfried Didinger. Bischof ist Franz Kamphaus.“ Sodann werden die Kosten der Renovierung des Südturms mit 315.000 DM beziffert, wovon die (damals noch selbstständige) Pfarrgemeinde 65.000 DM zu tragen habe. Anschließend schreibt Henk van Hoorn über die Situation in Lahnstein. Er erwähnt die Gebietsreform von 1969, die Stilllegung des Güterbahnhofs 1997 und nennt die in Lahnstein stattfindenden Kulturveranstaltungen. Zur Südturmrenovierung 2000 zählt er alle beteiligten Firmen auf: Für die Dachdeckerarbeiten war die Firma Heimbach (Inhaber Bernd Krinninger) verantwortlich, die auch die neue Kirchturmspitze anbrachte.
So erzählen die Dokumente aus drei Jahrhunderten nicht nur von baulichen Maßnahmen, sondern auch von den Hoffnungen, Sorgen und dem unerschütterlichen Glauben der Menschen, die die Geschichte von St. Martin in Oberlahnstein geprägt haben.