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UNESCO Welterbe
25. August 2017 Kategorie: Pressemitteilungen

Juden wurden von Friedrichssegen aus deportiert

Ehemalige Arbeitersiedlung Tagschacht war Sammelpunkt

Das Mahnmal zur Erinnerung an die jüdischen Mitbürger, die von Friedrichssegen aus deportiert wurden. (Foto: Bernd Geil/Stadtverwaltung Lahnstein)

Lahnstein. Vor 75 Jahren erreichte die systematische Entrechtung und Vernichtung der Juden ihren grausamen Höhepunkt: Alle jüdischen Mitbürger der Region traten ihre letzte Reise „nach dem Osten“ in die Ghettos und von dort in die Vernichtungslager an.

Oberhalb des Bergarbeiterfriedhofs Friedrichssegen, wo seit dem Ende des Bergbaus (1913) die ehemalige Arbeitersiedlung Tagschacht brachlag, wurden im Sommer 1941 die „nicht ausreisewilligen“ Mitbürger jüdischer Abstammung aus den Taunus- und Westerwaldgemeinden Bad Ems, Eltville, Erbach, Herschbach, Kamp, Lierscheid, Montabaur, Rauenthal/Rheingau, Welterod und Weyer sowie aus Ober- und Niederlahnstein zwangsumgesiedelt. 28 Frauen, 22 Männer, zwei Jungen und vier Mädchen, im Alter von 3 bis 80 Jahren, darunter sieben aus Ober- und vier aus Niederlahnstein.

Nachdem man den jüdischen Mitbürgern in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 ihre Wohnungen und Häuser verwüstet und sie ab 1939 gezwungen hatte, in sogenannten „Judenhäusern“ zusammengedrängt zu wohnen (beispielweise in der Martinstraße 2), mussten sie seit Sommer 1941 in den Elendsquartieren von Friedrichssegen ihr Dasein fristen. Sie durften zwar ihre Räumchen auf eigene Kosten her- und einrichten, doch half ihnen dabei kaum einer der ansässigen Handwerker oder Geschäftsleute.

Tagsüber mussten die Juden Zwangsarbeit leisten, die Frauen im Tonwerk, die Männer im Eisenlager und Verschrottungsbetrieb Narmann, jenem „zwangsarisierten“ Betrieb, den einst der Jude Emil Baer aufgebaut hatte. Täglich hatten die jüdischen Zwangsarbeiter einen vier Kilometer langen Weg zu ihrer Arbeitsstelle zurückzulegen: Tagschacht - Kölsch Loch - Neue Welt – Ahler Hof, bei einem Höhenunterschied von 120 Metern. Am Morgen mussten sie singend, um jede Unterhaltung zu unterbinden, ins Tal hinunterziehen. Dieser Hinweg dauerte 45 Minuten. Am Abend stiegen die Ermatteten eine Stunde lang bergauf. Bei Dunkelheit musste ein Zwangsarbeiter eine Laterne voraustragen. Die Einwohner von Kölsch Loch und der Neuen Kaserne steckten den geplagten Menschen gelegentlich etwas zu essen und zu trinken zu. Schwieriger war an manchen Tagen der Marsch durch Friedrichssegen. Oft wurden die jüdischen Bürger von Einheimischen lauthals angepöbelt, was die einzig überlebende Jüdin Hilde Emmel noch in schmerzhafter Erinnerung hatte. Da sie mit einem Nicht-Juden verheiratet war, galt sie als „privilegiert“ und wurde vorzeitig von Friedrichssegen ins Frauenlager des KZ Ravensbrück gebracht, wo sie Zwangsarbeit leisten musste. Sie konnte 1945 die Befreiung erleben und kehrte nach Lahnstein zurück.

Menschliche Dramen spielten sich 1941/42 in Friedrichssegen ab. Es kam zu der Selbsttötung eines Verzweifelten. Sogar einen Achtzigjährigen aus Weyer hatten die Schergen des Unrechtssystems dorthin verschleppt, er starb nach weniger als einem Monat Aufenthalt am 14. Dezember 1941.

Neben der arbeitsmäßigen Ausbeutung und lebensunwürdigen Wohnsituation fehlte es auch an ausreichenden Lebensmitteln, da die Juden keine Lebensmittelkarten erhielten. Ihre Lebensmittel durften sie sich im einzigen Geschäft des Ortes nur zu besonderen Zeiten besorgen, weil sie mit den anderen Bürgern nicht zur gleichen Zeit einkaufen durften.
Ein „vorübergehendes Verlassen der Wohngemeinde“ war möglich, denn es existiert im Stadtarchiv ein Verzeichnis über 292 namentlich ausgestellte Erlaubnisscheine. Dieses Verlassen wurde sicherlich auch genutzt zur Beschaffung von Lebensmitteln.

Wie trostlos und entwürdigend dieses Leben für die stolze und gebildete Fanny Königsberger aus Bad Ems war, schildert die 75-jährige in ihren Briefen. Ohne Hoffnung auf eine Besserung ihrer Lebensverhältnisse erduldete sie ein ganzes Jahr, wie sie und ihre Verwandten und Bekannten von fanatischen Nazis kommandiert, schikaniert, verhöhnt und womöglich noch geschlagen wurden. Aus ihrem letzten Brief erfahren wir, dass sie drei Tage vor der Deportation von ihrer Reise über Frankfurt nach Theresienstadt erfuhr. Dass sie dort nur der Tod erwartete, konnte sie nur erahnen.

Die Deportation von Friedrichssegen erfolgte mit zwei Zügen. Am 10. Juni 1942 fuhren 26 Juden, darunter die Lahnsteiner Sophie Kaufmann, Klara Ahronsohn und ihre Schwester Else Blumenthal sowie Emil Baers Schwester Minna Baer über Frankfurt ins Durchgangsghetto Izbica in Polen (70 km südöstlich von Lublin), wo sie drei bis vier Tage später eintrafen. Sofern sie die katastrophalen Verhältnisse dort überlebten, wurden sie von hier in ein Vernichtungslager verschleppt und in Sobibor, Auschwitz oder Maly Traszjanez bei Minsk ermordet. Viele Schicksale gelten als „verschollen“, zurück kam keiner.

Die in Friedrichssegen verbliebenen 24 Juden zogen abgemagert und verängstigt am 28. August 1942 mit genau vorgeschriebenem Handgepäck zum letzten Mal den Berg hinunter zum Bahnhof, darunter Helene und Gustav Kaufmann sowie Emil Baers Frau Johanna. Dieser letzte Deportationszug brachte sie ins Ghetto Theresienstadt. Auch ihre Spuren verlieren sich in den Vernichtungslagern.
Der Jude Conrad Davidsohn aus Eltville wählte am Abreisetag vor lauter Verzweiflung den Freitod durch Sprung in die Lahn.

Ungeklärt bleiben der Tod von Emil Baer am 15. Oktober 1941 im Krankenrevier des Konzentrationslagers Sachsenhausen und Klara Laeger, die im November 1941 von Friedrichssegen in das Jüdische Krankenhaus Köln-Ehrenfeld „verlegt“ wurde und dort am 25. November starb.
Die Wohnungen der Juden in Friedrichssegen wurden nach ihrer Deportation versiegelt. Das Mobiliar und alles Zurückgelassene wurde öffentlich versteigert.

„Den Opfern zum Gedenken – den Lebenden zur steten Mahnung“ wurden am 24.11.1996 drei Stelen errichtet, die die Namen jener jüdischen Mitbürger festhalten, die von Friedrichssegen aus deportiert und ermordet wurden. Errichtet wurde das Mahnmal aufgrund der Initiative einer Schülergruppe der Realschule Lahnstein.

Aus Anlass der 75. Wiederkehr des Tages der letzten Deportation konnte der im Jahr 1992 durchgeführte Bußgang wegen der Straßensperrung Friedrichssegen-Hohenrhein nicht wiederholt werden. Das Gedenken an diesen Tag wird in das alljährliche Erinnern an die Reichspogromnacht am 9. November integriert. Die Einladung hierzu folgt rechtzeitig in der Presse.